Gegenständliche und nicht-gegenständliche Meditation

Der Yoga hat jene wertvolle grundsätzliche Unterscheidung zwischen gegenständlicher und nicht-gegenständlicher Meditation hervorgebracht. Diese kann uns einen zentralen Leitfaden für die Auswahl der Meditationsart geben. Für einen Anfänger stellt sich meist zu allem Beginn die Frage, für welche Meditationstechnik er sich aus den zahlreichen Angeboten entscheiden soll.

Aber auch für einen Meditierenden mit Erfahrung kann diese Unterscheidung Orientierung geben. Meditiere ich auf einen Gegenstand oder nicht? Was ist überhaupt ein Gegenstand? Was ist bei beiden Richtungen zu beachten?

Begriffsklärung

Die gegenständliche und die nicht-gegenständliche Meditation heißen auf Sanskrit, der alten indischen Sprache:

  • Saguna-Dhyana
  • Nirguna-Dhyana

Das Sanskritwort guna bedeutet „Eigenschaft“, sa „mit“ und nir „ohne“, dhyana heißt Meditation. Es stehen also zwei grundsätzlich verschiedene Richtungen in der Meditation vor uns:

  • Die Meditation auf etwas Konkretes, auf einen Gegenstand
  • Die Meditation auf etwas Unfassbares, Abstraktes

Beispiele

Jetzt stellt sich die Frage, was als ein Gegenstand und was als ein Nicht-Gegenstand zu bezeichnen ist? Ist ein Gegenstand all das, was ich mit den Sinnen erfassen kann, z. B. eine Blume, eine Kerze, ein Bleistift oder eine Person? Ja – und gleichzeitig geht die Bedeutung noch über das sinnlich Sichtbare hinaus: Auch die Beobachtung des Atems ist gegenständlich.

Swami Sivananda (1887–1963), ein bekannter indischer Yoga-Meister, zählt sogar noch subtilere Ebenen, etwa die Meditation auf eine göttliche Gestalt, zur gegenständlichen Meditation. Wenn er eine Meditation auf Krishna vorschlägt, dann kann der Mensch diese Gottheit zwar nicht sehen, aber sie hat gelebt und ist damit gegenständlich.

Dem Bereich nirguna zugehörig bezeichnet er hingegen folgende Meditationen:

„Ich bin das All“
„Das eigene Selbst“
„Ich bin die lebendige Wahrheit OM OM OM“

Nun wird verständlich, was unter nicht-gegenständlich gemeint ist: Es liegt ein abstrakter Inhalt zugrunde. Die Inhalte „lebendige Wahrheit“ und „ich bin die lebendige Wahrheit“ sind ungreifbar und abstrakt.

Einschätzung der beiden Meditationsarten

Scheinbar ist für den Meditierenden die Freiheit größer bei der nicht-gegenständlichen Meditation. Auf der anderen Seite können wir uns in dieser Freiheit sehr leicht ins Subjektive verlieren. Womöglich messen wir bei einer Meditation auf den Satz „Ich bin die lebendige Wahrheit OM OM OM“ beispielsweise dem Wort „Wahrheit“ ein bisher erworbenes Verständnis oder ein bestimmtes persönliches Gefühl bei. Gehen wir aber davon aus, dass hinter dem Begriff „Wahrheit“ eine objektive Dimension steht, die erfahren und erkannt werden möchte, so ist das nicht wünschenswert.

Swami Sivananda nennt deswegen die Nirguna-Meditation die schwerere von beiden. Er selbst war sicher in der Lage, bei der Meditation auf etwas Abstraktes die Klippen der eigenen Subjektivität und letztlich der Projektion zu sehen und zu umschiffen. Wie war das aber bei seinen Schülern? Wie ist das für uns heute?

Hierzu sagt er etwas Interessantes:

„Vor dem Nachdenken kommt das Hören oder Lesen der Schriften
und danach folgt die tiefe Versenkung.“

Swami Vishnu-Devananda (1927–1993), ein Schüler von Sivananda, gab deshalb für die nicht-gegenständliche Meditation auf das Mantra Om Gedanken und Beschreibungen über die Bedeutung von Om hinzu, die dem Meditierenden eine Grundlage und eine Richtung des Nachdenkens geben.

Damit wäre der Ausgangspunkt der Nirguna-Meditation interessanterweise bei einem Gedanken gesetzt und beginnt im Gegenständlichen. Erst später geht sie in das Nicht-Gegenständliche über, dann, wenn sich das reflektierende Bewusstsein auflöst. „Was übrig bleibt, ist absolutes Bewusstsein.“ (Sivananda)

Selvarajan Jesudian und Heinz Grill empfehlen die gegenständliche Meditation

Der in Indien geborene Yogalehrer Selvarajan Yesudian (1916–1998) schlägt zur Meditation Gedanken großer Meister sowie Gedanken und Gedichte von sich selbst vor. Er geht damit vom konkreten Objekt des Gedankens aus.

Auch Heinz Grill (* 1960), Begründer des Neuen Yogawillens, empfiehlt die gegenständliche Meditation auf einen Gedanken. Ein reiner Gedanke trägt nach seinen Erkenntnissen in sich eine freie Geisteskraft und Liebe. Diese kann sich in der Meditation aus sich selbst aussprechen, wenn vorbereitend eine möglichst freie und intensive Konzentration auf den Gedanken erfolgt ist.